Arbeiten mit einer Beeinträchtigung – deine Rechte

Menschen mit Behinderungen dürfen bei der Arbeit nicht diskriminiert, sondern sollen vielmehr gefördert werden.

Ich habe eine körperliche Behinderung, die mich in meiner Bewegungsfreiheit stark einschränkt. Mein Arbeitgeber hat mir zum Glück einen speziellen Büroarbeitsplatz eingerichtet, an dem ich ohne Hindernisse arbeiten kann.

Lange Zeit habe war ich dort glücklich. Vor einigen Monaten habe ich aber einen neuen Chef erhalten, der sich gerne über meine körperlichen Gebrechen mokiert. Das trifft mich sehr.

Der Chef verlangt von mir ausserdem, schneller zu arbeiten. Sonst gebe er Aufgaben von mir an leistungsfähigere Mitarbeitende weiter.

In dieser Situation bin ich krank geworden. Meine Hausärztin hat eine Depression diagnostiziert. Ich habe mir kein Arztzeugnis ausstellen lassen. Das Arbeiten fällt mir jedoch schwer.

Muss ich dem Arbeitgeber diese Diagnose mitteilen? Vergebe ich mir damit meine Karrierechancen? Muss ich sogar befürchten, dass ich entlassen werde?

Valentina F.

 

Es ist lobenswert, dass Valentinas Arbeitgeber ihr einen barrierefreien Arbeitsplatz eingerichtet hat. Damit ist es aber nicht getan. Er müsste sie auch vor Diskriminierung schützen.

Menschen dürfen wegen einer Behinderung nicht diskriminiert werden

Dass Behinderte wie Valentina am Arbeitsplatz geplagt werden, kommt leider gar nicht so selten vor. Gemäss Zahlen des Bundesamts für Statistik von 2019 erfahren 26% in erhöhtem Mass Gewalt und Diskriminierung.

Wenn ihr Chef Valentina Aufgaben wegnehmen will und sich über ihre Behinderung lustig macht, verstösst er gegen die Fürsorgepflicht. Der Arbeitgeber muss nämlich die physische und psychische Gesundheit der Angestellten schützen.

Valentina hat jedes Recht, sich gegen das Verhalten des Chefs zu wehren. Sie kann das Gespräch mit dessen Vorgesetzen oder ihrer HR-Verantwortlichen suchen. Unterstützung bekommt sie auch vom Rechtsdienst von Angestellte Schweiz.

Bei einer Krankschreibung muss der Grund nicht mitgeteilt werden

Die Hausärztin hat bei Valentina eine Depression diagnostiziert. Da ihr das Arbeiten schwerfällt, ist Valentina zu raten, mit der Hausärztin zu besprechen, ob eine Krankschreibung angebracht ist.

Valentina ist nicht verpflichtet, dem Arbeitgeber den Grund der Krankheit mitzuteilen. In ihrem Fall empfiehlt es sich aber, im Gespräch mit dem Vorgesetzten des Chefs oder der HR-Person, festzuhalten, dass sie das Verhalten des Chefs psychisch belastet.

Entlassung wegen Behinderung oder Krankheit kann missbräuchlich sein

Bei länger andauernden Krankheiten darf der Arbeitgeber in der Regel nach Ablauf entsprechender Sperrfristen kündigen. Diese dauern im 1. Dienstjahr 30 Tage, ab dem zweiten bis fünften 90 Tage und ab dem sechsten 180 Tage.

In Valentinas Fall wäre eine Entlassung aber wahrscheinlich missbräuchlich, weil die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Eine Kündigung aufgrund einer Behinderung ist dann missbräuchlich, wenn diese die Arbeit nicht wesentlich beeinflusst.
  • Eine Kündigung wegen einer Krankheit ist missbräuchlich, wenn eine Verletzung der Fürsorgepflicht diese Krankheit massgeblich verursacht hat.

Alternativer Arbeitsplatz – Schweizer Recht hinkt hinterher

In einem ähnlichen Fall hat der Gerichtshof der Europäischen Union ein wegweisendes Urteil gefällt. Ist das Weiterarbeiten am aktuellen Arbeitsplatz nicht mehr zumutbar, so muss der Arbeitgeber einen alternativen Arbeitsplatz anbieten. Eine Ausnahme kann es geben, wenn das Angebot den Arbeitgeber unverhältnismässig belasten würde.

Valentina könnte sich nur bedingt darauf berufen. Ein solcher Grundsatz muss sich in der Schweiz erst noch zu etablieren.

Behinderte sind beruflich zu fördern

Statt sich von ihrem Chef in ihrer Karriere behindern zu lassen, hätte sie in einem Betrieb mit vorbildlicher Integration von Behinderten sicher bessere Chancen, beruflich weiterzukommen.

Die UNO-Behindertenrechtskonvention verpflichtet die Schweiz in diesem Zusammenhang, den beruflichen Aufstieg von Menschen mit Behinderung zu fördern.

Angabe einer Behinderung bei Bewerbung nur, falls diese die Arbeit beeinflusst

Bewirbt sich Valentina bei einem neuen Arbeitgeber, muss sie über ihre Behinderung nur Auskunft geben, so weit diese ihre Arbeit beeinträchtigt. Da sie auf einen barrierefreien Arbeitsplatz angewiesen ist, muss sie also ihre Einschränkungen der Bewegungsfreiheit erwähnen.

Die Depression hingegen darf Valentina in der Regel unerwähnt lassen. Sie kann ja davon ausgehen, dass diese in einem besseren Arbeitsumfeld wieder verschwindet.

Bund will Behinderte im Erwerbsleben besser schützen

Im März 2023 hat der Bundesrat das Massnahmenpaket «Behindertenpolitik 2023-2026» beschlossen. Ziel ist, das Behindertengleichstellungsgesetz zu verbessern.

Auch private Arbeitgebende sollen «verpflichtet werden, zumutbare Massnahmen zu treffen, damit Mitarbeitende mit Behinderungen gleichgestellt einer Arbeit nachgehen können. Menschen mit Behinderung sollen im Erwerbsleben explizit vor Diskriminierung geschützt werden.»

Das sind für Valentina gute Nachrichten!

Autor*in

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